- Author: Bettina Schnerr
- Posted: 29. November 2016
- Category: Buchtipp, Rezensionen, Sonstiges
- Tags: Illustration, Japan, Shinji Tsuchimochi, Tokyo, ukiyo-e
Shinji Tsuchimochi – 100 views of Tokyo

Rezension
Auf Shinji Tsuchimochi und sein Tokyo-Projekt wurde ich irgendwann über meine Social Media-Timelines aufmerksam. Ich kann nur nicht mehr genau sagen, wie. Facebook? Spoon & Tamago oder ein Link auf Behance? Egal. Ich weiß nur noch Eines: Ich war sofort Feuer und Flamme für das Projekt.
Die Grundidee für das Konzept stammt aus der Edo-Periode. Die Künstler der damaligen Zeit prägten das Bild der japanischen Holzschnittkunst und das, was wir heute bei diesem Stichwort im Kopf haben, sind vielfach eben genau jene Holzschnitte, die damals entstanden waren. Einer dieser Künstler, Utagawa Hiroshige, stellte damals ganze Holzschnittserien her, die bis heute bekannt sind und aus denen berühmte Motive stammen. Zu diesen Serien zählen unter anderem eine über 50 Drucke umfassende Serie der Tōkai-Straße und auch die Serie, die Tsuchimoshis Projekt zu Grunde liegt: “100 berühmte Ansichten von Edo” (hinter “Edo” verbirgt sich nichts anderes als die heutige Stadt Tokyo). Für Tsuchimochi waren die historischen Motive der Anlass, sich Gedanken über eine moderne Umsetzung der Holzschnitte mit den heutigen Stadtmotiven zu machen.
Entstanden sind in dieser Tradition “100 views of Tokyo”. Im Wesentlichen befinden sich alle Orte in den zentralen Vierteln der Stadt und damit auf dem ehemaligen Stadtgebiet von Edo und sind im Anhang mit der genauen Adresse aufgelistet. Die Liste gibt sogar an, welche Orte zum Zeitpunkt des Drucks noch existiert haben und welche nicht (es sind nur ein paar wenige); in einer Stadt, in der immer irgendwo gebaut wird und Gebäude keine allzu lange Lebensdauer haben, ist das eine gute Idee. Zumal Tsuchimochi mit seinen Ansichten nicht nur die Stadt selber zeigen will, sondern auch zum Rundgang einlädt. Für die Regionen Yanesen, Kanda und Asakusa zeichnete er extra Karten, um die Lage seiner Stationen zu zeigen.
Auf den Wiederkennungswert seiner Grafik kann man bauen. Ein Beispiel dafür ist die Mikado Bäckerei in Yanaka. Das Foto von Tokyobling, einem empfehlenswerten Blog, der Tokyo fotografisch einfängt, zeigt im Vergleich sehr gut, wie präzise Tsuchimochi sich an die Regeln der Holzschnittkünstler hält. Wer sich auf die Suche nach den Motiven macht, wird sie so vorfinden, wie Tsuchimochi sie gezeichnet hat. Wer vom Sofa aus reist, findet Charakter und Atmosphäre all der Plätze in den Bildern wieder.

Das Beispiel vom Kanda Myojin Schrein (rechts in der Bildmontage) zeigt nicht nur, wie präzise Tsuchimochi die Ansichten wiedergibt (wer dort ist, sollte übrigens in den kleinen Laden Amanoya gehen, vor dem hier so viele Leute stehen; dort gibt es den besten Amasake der Stadt). Sie zeigen, was mir an den Arbeiten ebenso gut gefällt: Seine Art, die Tradition mit der Moderne zu verknüpfen. Auf der Bank vor dem Amanoya ruhen sich kleine possierliche Tiere aus. Auf anderen Bildern flanieren kleine Daruma-Figuren über die Straße, irgendwo lümmelt alienartiger Oktopus in einer Ecke oder Tanuki hocken mit Hut auf dem Kopf neben einer Klimaanlage. Das ist Popkultur und “kawaii”. Überhaupt verrät es sein Faible für die Popkultur – seine Facebookseite hat nicht umsonst die Kurz-URL Wasabipop.
“100 views of Tokyo” passt durchweg zu allen Lesern, die sich für Popkultur, Holzschnitte, moderne Kunst und Grafik oder einfach für Tokyo interessieren. Den einzigen kleinen Wermutstropfen finde ich derzeit in der Beschaffung. Wahlweise bekommt man es bei Spoon & Tamago mit wenig attraktiven Versandkosten nach Europa oder aber beim Verlag Shikaku, in Läden in Japan, oder als Ebook bei Amazon (was ich bei einem Bildband ausnahmsweise nicht anrate).
Bibliografische Angaben
Verlag: Shikaku
ISBN: 978-4-90900-468-0
Originaltitel: 東京下町百景
Erstveröffentlichung: 2016
Schauplatz: Tokyo
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Author
Bettina Schnerr
Die Welt besteht aus Büchern, Grüntee, Bergen, Neugier und Schreiben. Und einem dezenten Faible für Japan.
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